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Mittwoch, 22. Januar 2025
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Funktion und Status von Erscheinungen und Privatoffenbarungen (P. René Laurentin)
Wie soll man sie aufnehmen?
«Wenn das Kind das Licht der Welt erblickt hat, spendet der Familienkreis lauten Beifall»,
sagte Victor Hugo. Wenn sich eine Erscheinung ereignet, spendet der kirchliche Familienkreis keinen lauten Beifall. Sie ruft normalerweise Beunruhigung, ein gespanntes Verhältnis, Verärgerung hervor. Oft scheint das Problem ’Nummer 1’ zu sein: Wie werden wir sie wieder los? (um den Titel eines Stücks von d’Eugène Ionesco aufzunehmen). In Lourdes brach Peyranmale beim ersten Besuch Bernadettes in einen seiner bekannten, ausgezeichnet gekonnten Wutanfälle aus; von den Erscheinungen, die sich während der nachfolgenden fünfzig Jahre ereigneten: Beauring und Banneux (1932-1933), wurde bis zu den achtziger Jahren mehr oder weniger abgeraten; sie wurden unterdrückt oder unter den Scheffel gestellt. Für den, der Christus und die Gottesmutter liebt, müsste aber eine Erscheinung eine frohe Nachricht sein, wie sie es für viele gute Christen auch ist. Warum stößt sie auf ein solches Misstrauen, eine solche Verstimmtheit? Ein untergeordneter Status
Dafür gibt es ernstzunehmende Gründe:
Darüber hinaus haben Erscheinungen in der Kirche einen bescheidenen Status:
Funktion und Bedeutung der Erscheinungen
Trotzdem nehmen Erscheinungen einen wichtigen Platz im kirchlichen Leben ein. Sie gehören dem Bereich der Zeichen an. Der Mensch als ein «animal rationale» bedarf ihrer. Gott weiß das: Er hat die Offenbarung und die Riten des Alten Testamentes inspiriert. Christus hat uns das Evangelium und die Sakramente gegeben. Die Bibel ist ein Gewebe von Zeichen, in dem es sowohl im Alten, als auch im Neuen Testament eine Fülle von Erscheinungen und Wundern gibt. Auch im Leben der Kirche nehmen Erscheinungen einen wichtigen Platz ein: Guadalupe, Aparecida, Lourdes, Fatima gehören nach Rom zu den bedeutendsten Wallfahrtszielen! Gott, der zugleich transzendent und vertraut-nahe ist, lässt den Menschen nicht zurück, ohne ihm Zeichen zu geben, ohne die sein Glaube verkümmern und ersticken würde. Außer den objektiven Zeichen, nämlich der Kirche und den Sakramenten, spricht er durch die ganze Geschichte hindurch mittels providentieller und außergewöhnlicher Zeichen, die beurteilt werden müssen. Diese Zeichen haben prophetische Funktion. Sie erwecken den Glauben von neuem und «vor allem die Hoffnung», betonte Thomas von Aquin. Sie verweisen darauf, dass der transzendente Gott gegenwärtig und nahe bleibt. Die täglichen kleinen und großen, gewöhnlichen und außergewöhnlichen Zeichen sind ein Viatikum (Wegzehrung) für die menschliche Schwäche. Insofern sind die Erscheinungen zuerst eine pastorale Frage, bevor sie zu einer theologischen und juridischen werden.
Die Anerkennung und die Vervielfachung der Erscheinungen
Warum werden die Erscheinungen, die in der Kirche schon erloschen schienen, heutigentags immer zahlreicher? Dieser Wandel hängt zunächst mit einer kirchenrechtlichen Entscheidung zusammen. Der alte Kodex verbot im can. 1399, Abs. 5, «Bücher und Schriften, die von neuen Erscheinungen, Offenbarungen, Visionen, Prophezeiungen und Wundern berichten». Der Kanon (Can.) 2318 belegte die Zuwiderhandelnden mit der Strafe der Exkommunikation.
Am 14. Oktober 1966 hob Paul VI. diese kanonischen Bestimmungen auf (Dekret der Kongregation für die Glaubenslehre, in: Acta Apostolicae Sedis vom 29. Dezember 1966, S. 1186). Sie wurden auch in den neuen Kodex des kanonischen Rechts nicht wieder aufgenommen. Die neue Rechtsprechung hat die christliche Freiheit auf der Linie des Konzils wiederhergestellt. Sie bringt den Charismen und prophetischen Initiativen der Laien mehr Vertrauen entgegen. Dies war ein Risiko, aber die Gläubigen haben (mit wenigen Ausnahmen) im allgemeinen in Gehorsam und Bescheidenheit davon Gebrauch gemacht. Auf die Unterdrückung folgte in diesem Klima der Freiheit die Information. Die lange verdrängten Charismen wurden manchmal in überreichlichem Maße neubelebt. Mehrere Bischöfe haben in diesem neuen Klima den Kult (die Verehrung) an den neuen Erscheinungsorten anerkannt, und in einem Falle sogar die Echtheit der Erscheinung. Der Bischof von Los Teques (Venezuela), Msgr. Pio Bel Io Ricardo, anerkannte am 7. Februar 1988 die Erscheinungen, die Maria Esperanza Medrano de Hianchi seit 1976, und bis auf den heutigen Tag, hat. Weitere begünstigende Entscheidungen betreffen den Kult:
Die Beurteilung bleibt jedoch oftmals konfus, doppeldeutig, umstritten. So werden Hindernisse eingefügt. Bildung von Kommissionen
Auf Kommissionsebene bleibt das Verfahren oft an Vorurteilen oder unangemessenen Gewohnheiten hängen, die eine Revision auf verschiedenen Ebenen erfordern würden.
Wenn die kirchliche Behörde eine Untersuchungskommission einsetzt, beschickt sie sie im Allgemeinen mit Theologen, Kirchenrechtlern und Psychologen oder sogar Psychiatern. Man darf sich fragen, ob diese Personenkategorien die bestgeeigneten für die geistliche Beurteilung des Eingreifens Gottes sind. Ich riet vor einigen Jahren einem Kardinal, der eine solche Kommission einsetzen wollte: « Dieser ebenso banale wie evidente Vorschlag ist bisher kaum je befolgt worden. Selten werden Prüfer, die in spirituellen Dingen erfahren sind, bestellt. Zudem flüchten sich die Kommissionen, die normalerweise die Aufgabe hätten, den zuweilen kompetenten Pilgern in ihrem Bemühen der Beurteilung zu helfen, meistens in die Geheimhaltung und geben dann gerne, ohne irgendwelche Abklärungen, völlig unausgewogen und unmotiviert die ausweichend-negative Formel heraus: Das Übernatürliche ist nicht nachgewiesen (non patet supernaturalitas). Und diese offene und bedeutungslose Formel wird von den Zeitungen dann oft als Verurteilung interpretiert, so als ob diese Negativformel lautete: Patet non supernaturalitas: Das Übernatürliche ist ausgeschlossen.
Da, wo Christen, die kein Mandat erhalten haben, zu urteilen versuchen, wird ihre Einstellung oft mit folgenden Bemerkungen abgewiesen: Wenn Christen, denen es an Unterscheidungsvermögen fehlt, versucht sind etwas zu beurteilen, dann erzeugt ihr Verhalten die nachfolgenden Betrachtungen: Là où des chrétiens sans mandat tentent de juger, leur attitude appelle souvent les observations suivantes :
Mehrere von ihnen sind mir befreundet, und ich schätze sie. Ich habe ihnen meine Gründe und meine Beurteilungen mitgeteilt und ihnen die ausschließlichen Verfügungsrechte darüber eingeräumt. Sie sollten diese, wenn sie es für richtig hielten, veröffentlichen, oder sie für sich behalten. Polemik würdigt nämlich herab. Sie ist kein gutes Mittel, um zu einer Beurteilung zu kommen, denn letztere ist auch Sache der Intuition. Mir ist vorgeworfen worden, eine «Gewähr» für Vassula abzugeben. Diesen Ausdruck habe ich nie gebraucht. Ich halte mich daran, Indizien für eine Beurteilung nach den klassischen Regeln vorzulegen. Es bleibt also jeder frei zu urteilen, und auf diesem Gebiet ist die Freiheit statutenmäßig gewahrt. Auch die Äußerung einer offiziellen Amtsgewalt zu einer Erscheinung verpflichtet niemanden, ihr Urteil zu übernehmen, sondern sie schlägt es vor. Ich respektiere also jedermanns Freiheit, auch die der Gegner, deren guten Glauben ich nicht in Zweifel ziehe. René Laurentin, Quand Dieu fait signe. Réponse aux objections contre Vassula (Wenn Gott Zeichen gibt) ed. F.X. de Guibert, 1993, p. 6-16. (12-21)
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